Günther Kohl, der erfolgreiche schwäbische Langstreckler ist tot. Bei einem Verkehrsunfall starb der 34jährige, dessen sportliche Laufbahn unter anderem von zwei deutschen Meistertiteln gekrönt war.
In die Trauer seiner Freunde, Verwandte und Mitläufer vom SC Vöhringen über das viel zu frühe Ableben des Allgäuers mischt sich jedoch die Gewissheit, dass dem Läufer in seinem "zweiten Leben" noch gut acht Jahre vergönnt waren. Denn schon einmal -1977- hatte Günther Kohl an der Schwelle zum Tod gestanden. Damals hatte er mit unbändigem Willen weiterzuleben den Tod besiegt. Am 29. Januar 1986 hatte er dagegen keine Chance, seine durch das Laufen geschulte Durchhaltekraft im Ringen um das Leben einzusetzen. Der PKW in dem Günther Kohl mit vier weiteren Männern saß, überschlug sich bei Illerrieden im Landkreis Ulm in einer Kurve - vermutlich wegen überhöhter Geschwindigkeit. Der Beifahrer Günther Kohl und sein Freund Manfred Kraus starben noch an der Unfallstelle, während der Fahrer nur leicht verletzt wurde.
Mit 17 Jahren hatte der Jugendliche aus Jedesheim bei Illertissen zum ersten Mal an einem Waldlauf teilgenommen. Ein Jahr später wurde er bereits Jugendmeister bei den schwäbischen Waldlaufmeisterschaften. Aus dem Fußballer des SV Jedesheim war der junge Läufer des Leichtathletik-Vereins des SC Vöhringen geworden. Diesem Verein blieb Günther Kohl, den sein Trainer Gerold Hille "als stillen, liebenswerten und ehrlichen Kumpel" bezeichnet, stets treu. Auch in den Zeiten seiner größten Erfolge lehnte der in seiner Heimatstadt Verwurzelte lukrative Angebote von Leichtathletik-Großvereinen ab.
1973 konnte Kohl seinen ersten ganz großen Erfolg erringen. Er wurde Deutscher Juniorenmeister über 5000m in 14:28 min. Zwei Jahre später gelang ihm dann sein größter Erfolg. Auf der schweren Strecke am Berliner Teufelsberg erlief er sich im Cross den deutschen Meistertitel auf der Männer-Mittelstrecke. Bei den Bahnmeisterschaften 1975 über 5000m schied er mit 14:03 min im Vorlauf aus. 1976 wurde er nach einer Verletzungspause Dritter bei der Crosslauf-DM in Wetter. In jenem Jahr verbesserte er sich auf der 12 1/2 Runden-Distanz auf 13:48min und nahm am Länderkampf Deutschland-Sowjetunion teil, wo er erstmals unter der 14 Minuten-Grenze blieb.
1977 sollten weitere Steigerungen erfolgen. Doch es kam anders. Günther Kohl fing sich eine Virusinfektion ein. Erst fühlte er sich schwach und fiebrig, dann begann das Herz zu rasen. In der Uniklinik Ulm stellten die Ärzte eine Herzmuskelentzündung fest. Eine Lungenentzündung kam hinzu. Auf der Intensivstation gab ihm der Pfarrer die letzte Ölung.
In einem Interview mit Rudi Holzberger schildert er diese Stunden. "Ohne mein Läufer Herz hätte ich diese Stunden bestimmt nicht überstanden. Aber so hatte ich die Durchhaltekraft und den Willen zu überleben. Wenn ich eingeschlafen wäre, hätte es mich erwischt. Also zwang ich mich wach zu bleiben bis der Morgen graute. Da fühlte ich, dass ich überm Berg war.
Sein Leben danach sah er selbst als Geschenk an. "Ich bin natürlich kein total anderer Mensch geworden, aber meine Einstellung zum Leben hat sich doch total verändert. Ich bin optimistischer geworden, offener, mehr dem Augenblick verhaftet. Und habe vor allem meinen ganz persönlichen Weg gefunden, bei dem ich mich kaum noch nach dem Urteil anderer ausrichte."
Dieser ganz persönliche Weg war niemals ein gerader. Zunächst hatte er eine Lehre als Kaufmann abgeschlossen. Doch das ewige unechte Freundlichsein gegenüber den Leuten die er nicht mochte, hielt er nicht lange aus. Eine Lehre als Chemielaborant folgte. Kohl 1981 "Konsumdenken kenne ich nicht mehr, daher reicht mir auch wenig Geld. Ich neide niemandem seinen großen Mercedes, aber ich wollte ihn nicht eintauschen. Laufen kann ich vor der Haustüre weg." Eine Ironie des Schicksals dass ihn der Tod ausgerechnet beim Autofahren ereilte. Vielleicht hat er auch schon immer etwas geahnt. Denn große Sorgen um finanzielle Absicherung im Alter machte er sich nie, "Was weiß ich ob ich überhaupt so alt werde".
Nach der Herzmuskelentzündung gaben ihm die Ärzte keine Chance mehr für seinen geliebten Sport. Das Herz sei völlig vernarbt. Doch Günther Kohl belehrte sie eines Besseren. Mit 100m Spazierengehen und 20m Traben im Wechsel fing er unermüdlich wieder an. 1980 bei den deutschen Meisterschaften in Hannover wurde er bereits wieder Vierter hinter so bekannten und renommierten Läufern wie Karl Fleschen, Christoph Herle und Hildenbrand. Und siegte bei den bayerischen 25-km-Meisterschaften in Bobingen in 1:17:53 - zeitgleich mit Ralf Salzmann.
Den ganz großen internationalen Durchbruch, von dem Günther Kohl im Frühjahr 1977 vor jener verhängnisvollen Virusinfektion vielleicht gestanden hatte, schaffte der Jedesheimer nicht mehr. Doch bleiben seine Erfolge in der Rückschau beeindruckend: Zwei deutsche Meistertitel (1973 Junioren 5000m, 1975 Cross-Männer-Mittelstrecke), sechs weitere Platzierungen unter den ersten sechs bei Deutschen Meisterschaften, zwölf bayerische Meistertitel sind Marksteine der Entwicklung dieses Langstrecklers, der selbst das Laufen als seinen Lebensinhalt bezeichnete.
In die Trauer um den Läufer Günther Kohl sollte sich die Dankbarkeit mischen, dass der zähe Kämpfer als Todgeweihter auf der Ulmer Intensivstation sich selbst und seinen Freunden acht Jahre Leben - Läuferleben - durch die im Sport gelernten Fähigkeiten geschenkt hat. Seine früheren Mitläufer werden ihn bei vielen Crossläufen und Straßenläufen vermissen.